Gran Selezione

Eine Weinregion im Rausch

Mit Gran Selezione steht jetzt im Chianti Classico als Krönung eine neue Klasse edler Tropfen an der Spitze der Qualitätspyramide.

Nach dreijähriger konzeptioneller Arbeit ist es endlich sicher: Die Weinerzeuger im Chianti Classico haben grünes Licht für ein neues Klassifikationsmodell in drei Stufen gegeben. An der Spitze der Qualitätspyramide des Gallo Nero steht nun die Gran Selezione. Erst darunter rangiert die Riserva, gefolgt vom Jahrgangswein (Annata). „Dies ist ein historischer Tag“, sagte Sergio Zingarelli, Präsident des Consorzio Vino Chianti Classico und Inhaber des Weinguts Rocca delle Macie, mit großem Stolz bei der offiziellen Verkündung im Palazzo Vecchio in Florenz.

 Supertoskaner wieder mit im Boot

Mit der Erweiterung der Qualitätspyramide hat das zwischen Siena und Florenz liegende italienische Anbaugebiet eine spürbare Aufwertung erfahren. Die Neuregelung soll dazu dienen, alle im Chianti Classico verfügbaren Qua­li­tä­ten in Zukunft besser voneinander zu unterscheiden. Um die gesetzlich manifestierte neue Güteklasse erfüllen zu können, müssen die Weine mindestens 30 Monate – davon ein Vierteljahr in der Flasche – reifen, bevor sie in den Handel kommen. Sie dürfen nur aus Trau­ben der bes­ten Weinberge eines Winzerbetriebs oder aus dessen hochwertigsten Beeren bestehen. Organoleptisch, also nach einer Prüfung ausschließlich durch menschliche Sinnesorgane, sollen die als Gran Selezione deklarierten Weine die Eigenschaften eines wirklich hochklassigen Produktes besitzen.

Eine Besonderheit: Ein Chianti, der für die Gran Selezione präsentiert wurde, diese Klassifizierung aber nicht erhält, wird automatisch zum DOCG-Wein ohne den Zusatz Riserva abgewertet. Daher werden wohl vor allem diejenigen Güter die höchste Kategorie anstreben, die von der Qualität ihrer Weine vollends überzeugt sind. Durch die Einführung der neuen Spitzengattung ist es dem Consorzio gleichzeitig gelungen, die auch heute noch häufig hergestellten Supertoskaner – und hier vor allem jene Gewächse, die auf der Paradesorte Sangiovese basieren – wieder mit ins Boot zu holen.

Die ersten 34 Tropfen im Wein-Olymp

Während der Verkostung „Chianti Collection“ in Florenz wurden Journalisten bereits die ersten 34 Gran Selezione präsentiert. Sie tragen zum Teil noch nicht die neue Qualitätsbezeichnung auf dem Etikett, da einige Weine bereits im Handel erhältlich oder inzwischen schon ausverkauft sind. Die Weine stammen vor allem aus dem Jahrgang 2010 und repräsentieren eine ganze Reihe altbekannter Erzeuger. Fontodi zum Beispiel bezeichnet seinen wie immer spektakulären Vigna del Sorbo nun nicht mehr als Riserva sondern als Gran Selezione. Ähnlich gingen Barone Ricasoli mit dem Castello Brolio sowie Castello di Ama und Castello di Fonterutoli vor.

Neben diesen Weinen wurden während der Verkostung auch einige Mikro-Selektionen vorgestellt, die nur mit wenigen tausend Flaschen in den Verkauf gelangen. In diesem Segment wollen die Tester einige Erzeugnisse mit deutlich intensiverer und weiter gefasster Struktur entdeckt haben als sie normale Riserve besitzen. Einige Fachjournalisten sprechen sogar von einem „wirklich neuen Ansatz“, da eine fast brunelloartige Tanninausbeute und mächtige Extrakte diesen Weinen eine für das Chianti Classico bisher nicht unbedingt immer typische große Fülle verliehen.

Positives Signal mit Fehlern im Detail

Die Neufassung in drei Qualitätsstufen wird von der Weinwelt grundsätzlich begrüßt. Allerdings unter­schei­den sich die für die Gran Sele­zione festgelegten Regeln nicht sonderlich stark von den Kri­te­rien, die bereits für Riserve aufgestellt wurden. Dies gilt für den Mindestwert bei Extrakten (plus ein Gramm pro Liter), aber auch für die nur sechs Monate längere Lagerzeit im Keller. Dass in den Weinen neben Sangiovese-Trauben bis zu einem Fünftel andere rote Rebsorten beigemischt werden dürfen, gilt sogar für beide Kategorien gleichermaßen. Auch erscheinen die für Riserva und Gran Selezione gemeinsam geltenden maximalen Traubenerträge von 7.500 Kilogramm pro Hektar für ein Gewächs der obersten Kategorie hoch bemessen. Zum Vergleich: Im Burgund liegt für die Grand Crus der erlaubte Ernteertrag rund 40 Prozent niedriger.

Es gibt einige weitere Gründe, die Einführung der Gran Selezione nicht mit übertrieben hohen Erwartungen zu verbinden. Denn mit ihr wird – anders als etwa in den großen französischen Anbaugebieten, aber auch in Deutschland und in der Steiermark – weder bei den Weinbergen noch bei den Winzerbetrieben in qualitativer Hinsicht ein Unterschied gemacht. Das heißt: Grundsätzlich darf jeder Erzeuger – wie bei Riserva und Annata auch – selbst festlegen, ob er aus seinem Traubengut einen Gran Selezione keltert oder ob er sich dagegen entscheidet. Liebhaber edler Tropfen müssen daher hoffen, dass tatsächlich nur jene Betriebe Weine mit dieser Qualitätsbezeichnung herstellen, die den strengeren Kriterien auch vollauf entsprechen.

Nicht unbedenklich ist auch die vom Consorzio getroffene Regelung, Trauben mehrerer sehr guter Weinberge eines Betriebs in die Produktion einzubeziehen. Denn selbst wenn für den Gran Selezione die Areale regional recht dicht beieinander liegen, so ist doch ein eindeutiger Terroir-Bezug manchmal nicht mehr gegeben. Die strenge Abbildung geografischer, geologischer und klimatischer Charakteristika sollte aber für einen Wein, der die Krönung aller Kreszenzen im Chianti Classico darstellen soll, eine Selbstverständlichkeit sein.

Fazit

Weine der Spitzenkategorie Gran Selezione sollen die herausragenden Eigenschaften des Chianto Classico künftig noch stärker als Riserva und Annata herausstellen und das Ansehen der berühmten italienischen Anbauregion weiter steigern. Eine Imageaufwertung ist mit dem neuen Klassifikationsmodell allemal verbunden. Noch größer wäre in der Weinwelt die Anerkennung der neuen Premium-Qualitätsstufe allerdings dann, wenn sich die im Consorzio Vino Chianti Classico organisierten Winzer für einige Nachbesserungen im Reglement entschieden, um die Top-Gewächse strenger von den Riserve abzugrenzen. (mh)